Fokus

Literatur, Philosophie und Physik

Interview: Stefanie Nydegger
Bild: Roland Herzog, Antonia Camponovo

Im Interview sprechen Caroline Dieth, Deutsch- und Philosophielehrerin, und Heinz Anklin, Physiklehrer und IB-Koordinator, über das Thema Energie.

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Die Herkunft des Wortes Energie geht auf den griechischen Begriff «enérgeia» zurück, was «Wirksamkeit», «wirkende Kraft» bedeutet. Was assoziierst du mit diesen Begriffsbedeutungen?

Caroline Dieth: «Ich denke da als erstes an die innere Kraft, die man in sich trägt. Damit meine ich jene Kraft, die einem antreibt, etwas anzupacken. Das Schöne an dieser Kraft ist, dass sie einfach so da ist, aus einem herauskommt, einfach weil man lebt. Das ist ein Geschenk. Ich weiss, wie es ist, wenn sie nicht da ist, weil ich in meinem Leben bereits einmal eine Depression durchlebt habe, und deswegen ist es einfach wunderbar, wenn man diese Lebensenergie spürt.»

Heinz Anklin: «Als Physiker habe ich sehr viel mit der physikalischen Energie zu tun. Die Begriffsbedeutungen definieren exakt den Energiebegriff, so wie er in meinem Unterrichtsfach verstanden wird. Aber natürlich habe auch ich eine menschliche Sicht auf diese Kraft. Dort assoziiere ich diesen Begriff mit einer geistigen Kraft, explizit mit mentalem Durchhaltevermögen. Manchmal muss man langwierige Prozesse aushalten, dafür braucht es eine besondere Energieleistung, die auch mit dem inneren Willen verbunden ist.»


«Die menschliche Sehnsucht nach einem inspirierenden Leben ist gross», behauptet zumindest der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid. Wenn wir Inspiration als Motor, als Energieschub betrachten, was beflügelt denn dich?

Caroline Dieth: «In der Natur, besonders in den Bergen fühle ich am meisten Energie, die dann auch unmittelbar auf mich überspringt. So beginne ich beispielsweise meine Wanderung im Kanton Uri im Berggasthaus Gitschenen, bewege mich in dieser wunderschönen Landschaft fort, erblicke den Uri Rotstock und spüre dann diese positive aufgeladene Energie. Ja, die Berge bedeuten mir viel, sie sind wahrhaftig eine Energiespritze.»

Heinz Anklin: «Es stimmt, dass die Sehnsucht nach Inspiration sehr gross ist. Ich denke, dass es zum Leben gehört, dass man immer wieder neue Energiequellen sucht und findet. Ich gehe gerne mit anderen Menschen etwas Neues an, etwas, das ich noch nicht so genau kenne, das in gewisser Weise auch eine Herausforderung darstellt. Wenn ein solches Unterfangen später gelingt, dann gibt mir das einen unglaublichen Schub. Auch von der Natur umgeben zu sein, gibt mir Kraft. In meinem Garten erfahre ich, wie viel Geduld und auch Pflege, Pflanzen benötigen.»

 

Wie setzt ihr eure (wiedergewonnene) Energie frei?

Caroline Dieth: «Alles im Leben benötigt eine gewisse Energie. Um den Berg zu erklimmen, ist eine Grundenergie von Nöten, sonst komme ich nicht bis nach oben. Ich brauche also viel Energie, um Dinge zu tun, die mir dann aber auch wieder Energie geben. In meine Arbeit als Lehrerin stecke ich viel Energie hinein. Ich habe die schöne Erfahrung gemacht, dass je mehr ich hineingebe, desto mehr erhalte ich zurück.  Wichtig ist dann, dass ich mir genügend Zeit nehme, um mich auch wieder davon zu erholen.»

Heinz Anklin: «Ganz viel Energie fliesst in die Familie, in meine Kinder, in die Beziehung.  In die Familie kann man eigentlich unbegrenzt viel Energie reinstecken, gerade auch weil man es aus Überzeugung macht. Selbstverständlich fliess auch viel Kraft in meinen Unterricht, in die Schülerinnen und Schüler. Es ist schön, wenn meine Begeisterung für mein Fach auf andere überspringt. Doch erwarte ich dies nicht. Mein Elan für die Physik erfüllt mich.»

 

Was gibt es denn für Energiefresser in eurem Leben und wie geht ihr damit um?

Heinz Anklin: «Es raubt mir Kraft, wenn ich Energie in etwas reinstecke und diese dann nicht ankommt. Dann bin ich enttäuscht. Es zwackt mir auch Energie ab, wenn ich zu oft nach Drehbuch, nach Reglement arbeiten muss. Das gibt mir ab einem gewissen Punkt das Gefühl, ferngesteuert zu sein, was dann nichts Positives mehr freisetzen kann. Ich brauche Kreativität in der Umsetzung von Dingen. Wichtig scheint mir, dass wenn Schwierigkeiten auftauchen, man sich bewusst wird, dass man einerseits nicht alles verändern kann und andererseits nicht alles aufs Mal umzukrempeln vermag. Auch kann man im Leben nicht immer von allem und jedem begeistert sein, das gilt es bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren.»

Caroline Dieth: «Vor langer, langer Zeit habe ich mit anderen an der Ausgestaltung des Rahmenlehrplans mitgearbeitet. Nach vielen Arbeitsstunden und Diskussionen bemerkten wir im Team, dass die Auftraggeber von Beginn an wussten, was sie wollten. Der Trick bestand darin, uns sukzessive zu der bereits im Vorfeld festgelegten Umsetzung zu bringen. Ich kann gut nach Vorgaben arbeiten, wenn diese von Anfang an mitgeteilt werden. Wenn dem aber nicht so ist, dann fühle ich mich geprellt, was mir dann effektiv sinnlos viel Energie abzweigt.  Ich denke, dass es wichtig ist, dass es im Leben ein paar Dinge gibt, die zutiefst Sinn ergeben, um mit energiefressenden Momenten besser umgehen zu können. Dazu gehört auch, dass ich genug schlafe. Der Schlaf ist das A und O.»

 

Gerne möchte ich mich nun mit dir, Caroline, in literarische Welten bewegen. In welchen literaturgeschichtlichen Epochen nimmst du eine besondere Energie wahr?

Caroline Dieth: «Es gibt tatsächliche Epochen wie beispielsweise der «Sturm und Drang», der vor jugendlicher Energie nur so sprüht. In anderen Epochen werden überwiegend schwere und traurige Themen behandelt, so beispielsweise im Expressionismus. Doch auch diese literarischen Strömungen sind mit Energie geladen. Der Expressionismus behandelt schwierige Erfahrungen; es geht um Leid, den Krieg. Aber wie darüber geschrieben worden ist, zeugt von einer ungeheuren Kraft. Energie muss nicht nur den Charakter des Explodierens, der Ekstase mit sich führen. Es gibt auch eine ganz stille Energie, von der in der Epoche der Romantik zu lesen ist. In der Romantik ist es ganz still. Es liegt eine ganz grosse Intensität vor, die von aussen fast nicht ersichtlich ist. Ein Beispiel dafür ist, dass man sich intensiv mit der Welt verbindet.»

 

Was sind für dich prägende literarische Figuren, die in einer bestimmter Weise Kraft ausstrahlen? Was bewirken diese fiktiven Personen?

Caroline Dieth: «Es gibt Figuren, die sich in gewisser Hinsicht vorbildhaft verhalten, die uns ein Idol sein können. So ist beispielsweise Franciska aus dem Stück Minna von Barnhelm eine rangniedrige Dienerin, die den Mumm hat, ihrem Vorgesetzten zu sagen, was sie denkt. Und die darüber hinaus gegen Ende des Stücks dem Wachtmeister einen Heiratsantrag macht. Franciska ist also eine coole Frau! Es gibt in der Literatur jedoch auch Menschen nachempfundene Figuren, die leiden oder gar scheitern, die ganz viele Fragen an das Leben stellen. Diese geben mir auch Kraft, da ich merke, dass ich mit meinem Denken nicht allein bin. Der letztgenannte Punkt war für mich vor allem als Schülerin wichtig. Ich mag mich erinnern, wie bedeutungsvoll die Lektüre von Georg Büchners Lenz für mich war. Diese Erzählung ist alles andere als ein «Aufsteller», aber ich habe dieses Werk gelesen und bemerkt, dass ich mit all meinen Empfindungen, meinen Fragen, die das Leben zu einer Herausforderung machen, die mich verzweifeln liessen, nicht alleine war. Das hatte mir Kraft gegeben.» 

 

Inhalt und Form gehen in der Literatur Hand in Hand. Gibt es für dich formale Aspekte, die eine besondere «Energie» freisetzen bzw. erkennbar machen?

Caroline Dieth: «Dazu fallen mir zwei Dinge ein. Zum ersten sind das Symbole oder Metaphern, die einen ganz wichtigen Gedanken in ein Bild fassen, sodass ein noch tieferes Verstehen erlangt werden kann. Diese bildhafte Ergänzung ergibt eine Intensivierung. Wenn dies einem Autoren oder einer Autorin auf kluge Weise gelingt, fasziniert mich das sehr. Ein weiterer Punkt ist mir zu Theodor Fontane in den Sinn gekommen. Die Sorgfalt, mit der er seine Figuren schildert, lässt zu, dass wir am Ende einer Geschichte die Figuren wirklich kennen, denn der Autor beschreibt tiefgründig, wie diese funktionieren, denken und fühlen. Dieser Umstand motiviert mich sowohl in meinem Leben als auch mit meinen Mitmenschen diese Sorgfalt anzuwenden.»  

 

Gerne möchte ich nun dich, Heinz, mit ins Boot holen. Als Physiker dreht sich ganz viel um «Energie». Könntest du den Begriff aus der Perspektive der Physik knapp zusammenfassen?

Heinz Anklin: «Ganz ein wichtiger Punkt ist, dass man Energie nicht erzeugen kann, man kann Energie nur umwandeln. In der Entstehungstheorie über den Urknall erkennen wir, dass die gesamte Energie, die heute im Weltall vorhanden ist, damals bereits bestanden hat, und zwar an einem winzigen Punkt. Energie bedeutet in meiner Disziplin die Fähigkeit (Potential), physikalische Arbeit zu verrichten, was sie [Energie] zu einem sehr schönen Begriff werden lässt. Energie ist zwangsläufig immer mit einer Kraft verbunden. Dies bedeutet, dass an einem Ort, wo keine physikalischen Kräfte vorhanden sind, gar keine Energie auftritt.»

 

Was sind für dich, aus historischer Sicht betrachtet, zwei wichtige Ereignisse in der Geschichte der «Energie»?

Heinz Anklin: «Die industrielle Revolution im 18. sowie im 19. Jahrhundert hat die Welt gewaltig verändert. In dieser langen Zeitperiode gibt es natürlich zahlreiche bahnbrechende Entwicklungen. Einen historischen Meilenstein markieren in jüngster Zeit Technologien, die sowohl die Speicherung von Energie als auch Umwandlungsprozesse von einer primären in eine für den Menschen möglichst effizient nutzbare Energie weiterentwickeln. Als Beispiel möchte ich die Weiterentwicklung der Lithium-Ionen-Batterie nennen. E-Bikes sind u.a. mit Lithium-Ionen-Akkus versehen, welche bewirken, dass mit wenig Masse viel elektrische Energie gespeichert werden kann, was ein kabelfreies Fahrvergnügen über eine gewisse Zeit hinweg ermöglicht.»

 

Dein Beispiel führt mich zu folgender Frage: Was muss man eigentlich über Physik wissen, um die gegenwärtige Energiekrise zu verstehen?  

Heinz Anklin: «Es ist wichtig zu wissen, aus welcher Energieform eine andere hergestellt werden kann. Am Beispiel von Verbrennungsmotoren und Heizungen kommen je verschiedene Energien zum Zug wie Benzin, Gas, Öl oder Holz, die wiederum in Wärme oder Bewegung umgesetzt werden. An diesen Beispielen wird ersichtlich, dass eine primäre Energie in eine nutzbare umgesetzt wird. Dabei ist es entscheidend zu wissen, welchen Anteil der Primärenergie dann tatsächlich auch verwendet werden kann! Es gilt Kosten, Energieaufwand sowie Umweltbelastung abzuwägen.»

 

Die Sorge um die Energieknappheit treibt uns seit längerer Zeit um. Magst du uns ein bis zwei spannende und vielversprechende Projekte der Zukunft vorstellen, die sich der Krise widmen und dich überzeugen?

Heinz Anklin: «Mit Sicherheit ist die Weiterentwicklung von Brennstoffzellen ein zentraler Punkt. Eine Brennstoffzelle ist ein technisches Gerät, das chemische Bindungsenergie in elektrische Energie mit hohem Wirkungsgrad umwandelt. So wird beispielweise ermöglicht, dass im Sommer Energie in Form von Wasserstoff gespeichert wird, die dann in einem Rücklaufprozess, indem der gespeicherte Wasserstoff mit Sauerstoff vermengt wird, elektrische Energie für den Winter herstellt. Das ist ein sehr wichtiger Prozess im Hinblick auf die Energielücke. Spannend finde ich den Ansatz, die natürliche Photosynthese von Pflanzenblättern als Energiequelle zu nutzen. Britischen Forschern ist es unlängst gelungen, Elektronen in einem viel früheren Stadium der Photosynthese aus den Zellstrukturen zu lösen. Dadurch kann ein hoher Energieverlust, der mit dem natürlichen Prozess verbunden ist, vermieden werden. Im Ansatz geht es darum, dass dieses neue Wissen erneuerbare Energien effizienter machen könnte. Diese Annahmen stehen noch in den Kinderschuhen, doch bin ich gespannt, was die weitere Forschung in diesem Bereich für die Zukunft bringen mag.»

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