Holly Evans und Pirmin Suter, zwei neue Abteilungslehrpersonen im Gespräch
Wir sind in der ersten Juliwoche, der letzten Schulwoche vor den grossen Ferien. Was hat eine Abteilungslehrperson jetzt noch zu tun?
Pirmin Suter: Vor allem die Notenkonferenzen leiten. Den Schüler*innen, die knapp waren, gebe ich noch die Rückmeldung von der Promotionskonferenz und bespreche, was optimiert werden könnte im nächsten Schuljahr. Und dann führe ich mit der ganzen Klasse noch ein Feedback durch.
Holly Evans: Wegen des Sporttages kann die reguläre Abteilungsstunde nicht stattfinden, darum verabrede ich mit den betroffenen Schüler*innen separate Termine für die Einzelgespräche. Und natürlich sind die Zeugnisse zu unterschreiben und abzugeben.
Sie haben in diesem Schuljahr beide eine erste Klasse als Abteilungslehrperson übernommen. Das erste Jahr ist immer besonders intensiv bezüglich der Klassenbetreuung. Was hat Ihnen dabei am meisten Freude bereitet?
Holly Evans: Ich habe Freude an der Abteilung, sie hat einen guten Zusammenhalt und einen guten Klassenchef, der mir vieles abnimmt und viel organisiert. Das Klassenlager war super und auch die übrigen besonderen Veranstaltungen im Schuljahr waren sehr schön.
Pirmin Suter: Das Klassenlager war ein Highlight. Aber eine eigene Klasse zu haben ist an sich schon grossartig, man kann sie begleiten und kommt ihnen näher: Autorität durch Beziehung. Man kann sie begleiten im Prozess des Erwachsenwerdens und vielleicht noch ein bisschen mehr Einfluss nehmen als auf die Schüler*innen, die man nur im Fachunterricht hat.
Was war Ihnen besonders wichtig bei der Arbeit als Abteilungslehrperson?
Holly Evans: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich möchte, dass wir alle etwas nett zu einander sein sollten. Wenn etwas ist, soll es gleich angesprochen werden. Die gute Kommunikation hat von Anfang an gut funktioniert. Sie haben einen sehr rücksichtsvollen Umgang miteinander, soweit ich das sehen kann, und natürlich auch ich mit ihnen. Ich denke schon, dass man das beeinflussen kann. Sie wissen, dass ich nicht immer gleich «ein Büro aufmache», aber dann doch reagiere, wenn es nötig ist. Man muss offen bleiben und sie und ihre Bedürfnisse verstehen, z.B. wenn es um Stress geht.
Pirmin Suter: Man muss ihnen zu verstehen geben, dass sie einem vertrauen können und man sie ernst nimmt. Die Botschaft ist: «Hey, ich bin für dich da, meine es gut, höre zu. Komm, wenn du etwas auf dem Herzen hast.»
Holly Evans: Das Zuhören ist wichtig, aber auch dass man dann reagiert und nicht einfach sagt, stellt euch nicht so an.
Wie haben Sie die Abteilungslektionen im ersten Jahr genutzt?
Holly Evans: Bis zu den Herbstferien habe ich erst mal erklärt, wie alles läuft, dann die Lagerwoche vorbereitet. Anschliessend folgten vor allem Gespräche mit einzelnen Schüler*innen. Dann wurde der Weihnachtshöck geplant. Im zweiten Semester ging es vor allem um Gespräche mit solchen, die knapp waren oder etwas Persönliches besprechen wollten. Und von Zeit zu Zeit habe ich die ganze Klasse versammelt, wenn es um Organisatorisches ging.
Pirmin Suter: Bei mir lief es ähnlich ab. Meine Abteilungsstunde war allerdings dieses Jahr am Donnerstag von 17.15 bis 18.00 Uhr angesetzt. Da finden sehr viele Sitzungen statt und die Motivation ist zu so später Stunde bei den Schüler*innen geringer. Es wäre wichtig, dass auch für diese Lektion gerade für die ersten Klassen ein passender Platz im Stundenplan gefunden wird.
Der Bildungsforscher John Hattie hält die pädagogische Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern für zentral für den Bildungserfolg. Er sagt: „Die Lehrer-Schüler-Beziehung gehört zu den wirkungsmächtigsten Einflüssen auf die Lernleistung von Schülern.“ Was ist besonders am Verhältnis zur «eigenen» Klasse?
Pirmin Suter: Das Verhältnis zu den anderen Abteilungen ist bei mir auch sehr persönlich, da gibt es kaum einen Unterschied. Und für Geographie hat meine Abteilung nicht einmal ein überdurchschnittliches Interesse, da sehe ich keine Auswirkungen. Aber insgesamt ist man halt schon näher dran. Man hat sie auch etwas mehr. Die persönliche Beziehung ist eher eine Frage des Typus der Lehrperson.
Holly Evans: Ich nehme an, die meisten Klassen verhalten sich bei der Abteilungslehrperson nur wenig anders als bei anderen Lehrer*innen. Ich habe eine sehr ruhige Klasse, aber wie ich höre, sind sie bei anderen auch so. Wenn sie Stress in einem anderen Fach haben, kommen sie manchmal zuerst zu mir. Wenn es um meinen Unterricht geht, kommt das natürlich direkt an mich, ohne dass jemand vermittelt.
Beziehungen müssen ja nicht nur zwischen Ihnen und der Klasse, sondern auch innerhalb der Klasse aufgebaut werden. Was bringt das Abteilungslager diesbezüglich?
Holly Evans: Wir waren in Pontresina und sind viel gewandert. Das fanden zwar nicht alle immer so lässig, und sie haben auch etwas gejammert. Aber auf jeder Wanderung sind sie in anderen Gruppen gelaufen. Am Ende finden sich natürlich wieder die zusammen, die sich besser kennen, aber sie haben sich gut durchmischt und am Abend immer alle zusammen etwas organisiert. Am ersten Abend haben sie sich etwas aufgeteilt, dann haben sie aber gemerkt, dass es lustiger ist, wenn alle zusammen etwas veranstalten und Spiele machen. So haben sie einen sehr guten Zusammenhalt bekommen. Es war schön zu sehen, wie sie sich gefunden haben.
Pirmin Suter: Bei mir war das Lager auch sehr positiv. Wir haben zwar nicht selbst miteinander gekocht, weil wir in einer Jugendherberge waren. Aber die Leute haben sich schnell kennengelernt. Es hat angefangen sich auszudifferenzieren. Ich habe das Gefühl, dass in der Klasse nicht immer «Friede, Freude, Eierkuchen» herrscht. Es hat sich herauskristallisiert, wer enger miteinander verbunden ist, und ich denke, das ist normal. Sie sind aber sehr offen gegenüber den anderen und funktionieren so als Klasse gut.
Holly Evans: Die Abteilungen sind ja zufällig zusammengewürfelt, die Sympathien sind natürlich nicht für alle gleich.
Pirmin Suter: Ich thematisiere immer wieder, wie wichtig die Toleranz ist und dass man durchaus mal im Unterricht neben jemandem sitzen soll, mit dem man länger nicht mehr gesprochen hat, oder mal nachfragt, wie es geht.
Dann gibt es ja noch eine Reihe anderer Pflichten, z.B. Veranstaltungen mit den Eltern.
Holly Evans: Der Besuchsmorgen macht einen schon etwas nervös, wenn man das zum ersten Mal macht und all die Eltern kennen lernt. Das habe ich nicht ganz so locker genommen. Aber ich hatte sehr gute Unterstützung von Kolleg*innen, die bereits mehr Erfahrung als Abteilungslehrperson haben. Das finde ich schön. Beim Elternabend habe ich viel an die Schüler*innen delegiert. Ich selbst habe meinen Input zum Organisatorischen und zum Absenzensystem gemacht. Die Eltern möchten aber vor allem wissen, wie es ihren Töchtern und Söhnen an der Schule geht. Und das können sie selbst am besten mitteilen. Die Klasse hat in Gruppen kurze Präsentationen gestaltet und präsentiert, z.B. über Akzentfächer, Klassenklima, Phasenunterricht usw. Das kam bei den Eltern gut an. In einem Video über den Unterricht haben die Schüler*innen natürlich die spassige Seite in den Vordergrund gestellt. Da musste ich natürlich schon betonen, dass wir nicht immer Papierflieger herumschiessen, sondern ganz ernsthaft bei der Sache sind.
Pirmin Suter: Am Elternabend haben sich meine Schüler*innen gleich selbst vorgestellt. Im Übrigen standen bei mir die persönlichen Gespräche der Eltern mit den Lehrpersonen im Vordergrund. Ich war schon an der Primarschule Klassenlehrer und stelle fest, dass die Elternarbeit auf Gymnasialstufe weniger Raum und Energie einnimmt als auf der Volksschulstufe. Aber doch habe ich einen intensiven Kontakt mit Eltern: Ich habe Schüler*innen mit Legasthenie, Dyskalkulie oder generell etwas knappen Leistungen. Da habe ich viel telefoniert, vor allem hatte ich Mütter am Apparat. Bei den anderen Abteilungen hat man einfach die Jugendlichen, bei der eigenen sieht man auch einmal etwas dahinter in die Familien.
Allgemein hört man ja immer wieder, die Eltern seien viel anspruchsvoller geworden, hätten grosse Erwartungen und Forderungen.
Holly Evans: Die Elterngespräche waren immer sehr angenehm und zeigten eine sehr positive Haltung gegenüber der Schule. Die Kinder erzählen oft, wie schön sie es an der KSWE haben und dass es ihnen hier gut gefällt.
Aber es gibt ja auch unangenehme Dinge, die kommuniziert werden müssen...
Holly Evans: Das steht mir jetzt noch bevor in einem Promotionsfall. Schon während des Schuljahres war einer meiner Schüler knapp und musste eine Alternative suchen. Das Gespräch ist sehr gut verlaufen, die Mutter war sehr einsichtig und hat mit mir nach Lösungen gesucht. Ich spreche immer zuerst mit den Jugendlichen und frage, ob sie wünschen, dass ein Elterngespräch stattfindet. Wenn es wirklich nötig ist, bestehe ich natürlich schon darauf.
Pirmin Suter: Mit manchen Eltern habe ich verabredet, dass ich mich ab und zu melde. Das haben sie sehr geschätzt. Man muss früh genug das Gespräch suchen, damit es zu keinen Missverständnissen kommt.
Haben Sie als Abteilungslehrperson auch schon Unterstützung in Anspruch genommen?
Holly Evans: Eine Schülerin hatte eine grössere Krise. Da habe ich noch am Freitagabend um 21 Uhr mit der Schulleitung Kontakt aufgenommen, die sofort Hilfe aufgegleist hat. Am nächsten Tag hatte ich ein Gespräch mit Herrn Minder, dem Schulpsychologen. Das hat alles super funktioniert, die Schülerin hat mit ihm gesprochen, und die Situation konnte bereinigt werden. Es ist toll, dass wir diesen Support haben, das hat mir viel Druck abgenommen. Die Schulleitung hat auch mit mir geklärt, wie weit meine Verantwortung überhaupt geht und was eigentlich nicht auf mir lastet. Alle unsere Rückhaltungssysteme haben gut funktioniert.
Pirmin Suter: Ich musste Vereinbarungen treffen bezüglich der Fälle von Legasthenie und Dyskalkulie. Und dann hatte ich noch einen Fall von Mobbing. Eine Schülerin wurde von ausserhalb der Schule massiv gemobbt. Es hat mir sehr gefallen, dass eine Gruppe von Schüler*innen dann mit diesem Problem auf mich zugekommen ist. Der Rektor hat auch hier sofort reagiert und mich unterstützt.
Manchmal muss man als Abteilungslehrperson auch mit anderen Fachlehrer*innen in Kontakt treten. Wie waren da die Erfahrungen?
Holly Evans: Manchmal bekommt man eine E-Mail von Kolleg*innen, dass einzelne Schüler*innen sich nicht korrekt verhalten. Sie fragen dann, ob das nur bei ihnen so ist oder ob es ein generelles Problem darstellt. Und wenn da immer von den gleichen die Rede ist, bestelle ich die Schüler*innen, um mit ihnen ihr Verhalten zu besprechen. Da geht es meist um kleine Sachen, Zuspätkommen, Schwatzen im Unterricht usw. Ich gehe aber nicht auf jede Kleinigkeit ein.
Pirmin Suter: Wenn jemand wiederholt nicht zur Prüfung erscheint und zur Nachprüfung muss, finde ich es wichtig, dass ich informiert werde. Grundsätzlich muss das die Fachperson selbst lösen, aber ich bin gerne bereit zu unterstützen.
Wie viel Energie kostet Sie das Administrative, die Absenzenkontrolle, die Abteilungskasse usw.?
Holly Evans: Meine Abteilung ist im Phasenunterricht. Die haben einen hohen Druck, anwesend zu sein, da gibt es nicht viele Absenzen. In der dritten Klasse, mit der Volljährigkeit, nimmt das dann etwas zu.
Pirmin Suter: Ich mache viel digital. Sie schicken mir rechtzeitig ein Whatsapp mit einem Foto der Entschuldigung und ich unterschreibe das Papier dann bei Gelegenheit. Die Abteilungskasse führe ich selbst, weil das weniger aufwändig ist, als eine*n Abteilungskassier*in zu kontrollieren. So habe ich das komplett im Griff, der Kontostand auf der Bank und die individuelle Buchhaltung in der Klasse differieren um 3 Rappen.
Holly Evans: Ich mache das auch selbst. Vielleicht übergebe ich die Aufgabe dann in der zweiten oder dritten Klasse an eine*n Schüler*in.
Gibt es Situationen, wo Sie sich als Abteilungslehrperson abgrenzen müssen? Mails am Sonntagnachmittag...
Holly Evans: Das habe ich mir schon öfter vorgenommen. Ich habe einmal gesagt, ich halte mich an die Bürozeiten und lese die Nachrichten von 8 bis 17 Uhr. Aber in der Praxis geht das nicht. Bis jetzt war das aber nie so einschneidend. Ich schaue meine Mails auch am Sonntag an und empfinde das bisher nicht als problematisch.
Pirmin Suter: Ich sowieso immer, auch wenn das im Zusammenhang mit der Stressprävention nicht wirklich sinnvoll ist. Mit der eigenen Abteilung kommuniziere ich viel per Whatsapp, da kann man kurz antworten. Auch hier ist der Aufwand aber nicht zu gross. Ich erledige solche Dinge immer lieber gleich.
Und die persönliche Abgrenzung? Man will ja auch nicht alles mitbekommen.
Pirmin Suter: Meine Klasse hat von Anfang an einen Klassenchat mit und einen ohne mich eingerichtet. Bei meinem Helikopterflug war ich es allerdings, der sie mit Privatem belästigt hat (deutet auf sein geschientes Bein). Sonst war das aber nie ein Thema.
Holly Evans: Ich habe gleich mit der Klasse geklärt, dass in den Chat «Abteilung + Miss Evans» nur das Organisatorische gehört. Meistens bin ich die, die in diesen Chat schreibt.
Würden Sie sich nach diesen Erfahrungen im ersten Jahr wieder für die Aufgabe zur Verfügung stellen?
Pirmin Suter: Sowieso.
Holly Evans: Wenn ich genau diese Abteilung nochmals bekomme auf jeden Fall (lacht). Ich finde es lässig, aber bevor ich eine weitere übernehme, will ich jetzt diese noch ein bisschen haben.