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Mein Lieblingsfehler

Bilder : Martin Rizek/ZVG

Wer macht schon keine Fehler? Aber Fehler bedeuten nicht immer Versagen. Fehler können eine Chance sein, ein Anlass zur Veränderung oder auch ein Mangel an Perfektion, der irgendwie zu einem gehört und einen einzigartig macht. Oder ein Festhalten an einer Idee, einer Haltung, die sich nicht umsetzen lässt. Was ist dein Lieblingsfehler und was bedeutet er dir? 

Angestellte, Lehrpersonen und Schüler*innen äussern sich über Fehler, die zu ihnen gehören:

Iris Schneider, Physiklaborantin

Keiner hat sie, keiner macht sie und die der anderen nerven am meisten …

Ich ärgere mich immer wieder darüber,  dass ich manchmal schneller rede als denke. So geschah es auch vor vielen Jahren. Ich war mit meinem Auto auf dem Weg zum Schrottplatz und schon fast dort angekommen, als ich in eine Polizeikontrolle geriet. Der Polizist war mir sehr unsympathisch, fettige Haare, Gesicht voller Pickel … Als ich ihn begrüsste, biss er herzhaft in sein Znüni-Brot – auch noch mit Leberwurst, die riecht immer so penetrant. Ich fand das frech, habe ihm «en Guete» gewünscht und gesagt, dass ich warten könne, bis er das Znüni beendet habe. Er fand das nicht lustig und durchsuchte meine Papiere so lange, bis er eine fehlende Unterschrift entdecken konnte. Das Ganze kostete mich eine halbe Stunde und 20 Euro.


 

Katrin Weixler, Gärtnerin, im Michel von Lönneberga Outfit

«Mein Lieblingsfehler»?! Da sprudelt es also nicht grad aus mir heraus. Will lieber nicht über meine Fehler reden. Mal ehrlich, sie sind mir einfach peinlich. Natürlich weiss ich von all den Vorzügen, mit denen Fehler gemeinhin schöngeredet werden. Ich mag sie trotzdem nicht. Punkt.

Ein Fehler zieht nun mal eine negative Konsequenz nach sich. Noch dazu eine vermeidbare, weil mensch bereits vorher von ihrer Entstehung hätte wissen müssen. Sonst wäre es ja kein Fehler. Die Natur des Fehlers schickt ihm eine spezifische Erfahrung voraus, eine Handlung, die unbeabsichtigt eine negative Auswirkung herbeiführt und, Beobachtung und Selbstreflexion vorausgesetzt, erst im Wiederholungsfall zum Fehler wird.

Und so halte ich es mit meinen «Fehlern» wie Michel von Lönneberga. Der macht nie denselben Streich zweimal, sondern denkt sich immer wieder neue aus.


 

Sarah Pennock, Berufslernende im Sekretariat

Mein Lieblingsfehler – das Aufschieben von Arbeiten

Sicherlich kennt es jeder, dass man zu spät anfängt ein Projekt zu planen oder für eine Prüfung zu lernen. Dieses Problem kenne ich auch sehr gut. Obwohl der Abend vor dem geplanten Termin stressig ist, kann man aber meistens doch noch alles erledigen oder lernen, was man sich vorgenommen hat – und das in einer Rekordzeit. Auf jeden Fall fällt es mir leichter ein Thema in den Kopf zu zwängen oder eine Arbeit fertig zu stellen, wenn ich unter Stress stehe. Fazit: Das Aufschieben von Arbeiten führt zu Stress, jedoch arbeite ich besser unter Druck und kann deswegen die Arbeiten besser erledigen.


 

Michael Studer, Geografie

Ich weiss nicht, ob man es als Fehler bezeichnen kann. Vielleicht ist es eher eine Unart bzw. ein Verhalten, das ich nicht ganz ablegen kann. Im Beruf an der Schule fällt es wohl etwas weniger auf, weil es vielleicht einfach dazugehört. Manchmal muss ich es auch einfach sein. Im privaten Umfeld ist es aber eher störend und oft auch lästig. Meine Mitmenschen reagieren dann immer wieder genervt oder rollen mit den Augen. Dann reicht ein böser Blick meiner Partnerin und ich höre auf damit. Es ist nie böse gemeint, aber manchmal kann ich einfach nicht anders. Und dann bin ich’s wieder: ein nerviger Tüpflischisser.


 

Marian Beck, Bildnerisches Gestalten

An der Kunstschule war das Fotolabor ein guter Ort, um Streit zu bekommen. Es war dunkel und eng und so trat man sich gegenseitig schnell auf die Füsse. Überall lauerte unerwünschter Lichteinfall, der das Fotopapier beschädigen konnte. Mal vergass jemand die Vorhänge der Lichtschleuse zuzuziehen, mal betätigte jemand den Belichtungsschalter, ohne den Negativwagen eingefügt zu haben. So ich! Sämtliche Fotopapiere verstrahlte ich in der Entwicklungswanne und sah selbst im Rotlicht die Bilder nachdunkeln. Verzweifelt schmiss ich sie ins Stoppbad. Bei Tageslicht entdeckte ich, dass diese Nachbelichtung einen wunderbaren Solarisationseffekt auf dem Fotopapier hinterlassen hatte. So muss es Man Ray gemacht haben! Ich realisierte später Projekte, in denen ich diesen Effekt gezielt einsetzte.


 

Linus Thieme, G4G

Mein Lieblingsfehler ist ohne Zweifel, dass ich den Film «The Godfather» noch nicht gesehen habe. Mein Umfeld und das Internet erinnern mich fast täglich fleissig und pflichtbewusst an diesen tragischen Umstand. Und doch denke ich eben nur in diesen Momenten daran, wie wichtig es doch wäre, mir den Film endlich anzusehen. Doch schon wenige Minuten später ist der Gedanke wieder verloren. Und auch Prag, Marx und mein – noch nicht mir gehörender – Führerschein warten sehnsüchtig auf eine Initiative meinerseits. Diese Erinnerung daran, dass ich noch viel vor habe, aber auch noch viel Zeit habe, macht diesen Fehler zu meinem Lieblingsfehler.


 

Malika Talha,  F3B

Abgabetermin 24:00 Uhr. Es ist jetzt 23:50, mein Aufsatz ist endlich fertig, doch jetzt hat sich die ganze Formatierung verschoben – na toll! Der Geburtstag meiner Mutter am Sonntag, es ist Samstagnacht und ein Geschenk in weiter Ferne – was jetzt? Ihr könnt euch vorstellen, wann ich diesen Text geschrieben habe.
Wer Dinge immer wieder aufschiebt, wird schnell als faul taxiert. Ich bin überzeugt, dass ich eine kreativere Arbeit abliefern kann, wenn ich damit einige Tage oder eben bis zum letzten Moment schwanger gehe. Mir fliegen in der Zeit des Faulenzens viele neue Inputs und Ideen zu. Faulsein ist in der Gesellschaft verpönt. Trotzdem hoffe ich, meinen «Fehler» auch in einer Welt behalten zu können, in der es immer höher, schneller und weiter gehen muss.


 

Micha Weibel, F2B

Mein Lieblingsfehler… bin ich. Denn ich habe ein Aufmerksamkeitsdefizits-/ Hyperaktivitätssyndrom. Die Gesellschaft zählt nur Leistung und schliesst Menschen, die nicht dem Durchschnitt entsprechen, fast schon kategorisch aus. Mir ist es nicht immer möglich, dieselben schulischen Leistungen zu erbringen wie andere. Auch ist meine Sozialkompetenz nicht gerade herausragend. Betrachte ich mich als jemanden, der «falsch» ist, so habe ich viele Nachteile.
Möchte ich mich also nicht mehr so haben, wie ich bin? Nein, denn obwohl ich vielleicht einen Heidenstress in der Schulzeit habe, möchte ich nicht auf die positiven Aspekte verzichten müssen. Ich bin ein ziemlicher Träumer und mir schwirren die verrücktesten Ideen durch den Kopf. Mein Leben wird immer eine Achterbahnfahrt sein. Aber ich muss schon sagen… Ich mag Achterbahnen.


 

Zorica Simeonovic, G4G

99% der Fälle würden meinen Namen falsch aussprechen, ist auch nicht besonders einfach, wenn man keine slawischen Wurzeln hat. Als Kind habe ich nie verstanden, wieso alle meinen Namen falsch aussprechen. Ich dachte, sie beleidigen mich, weil sie es absichtlich machen. Aber wenn jemand meinen Namen richtig ausspricht, frage ich mich, ob diese Person aus Serbien stammt oder jemanden kennt, der den gleichen Namen trägt. Dabei entstehen meistens sehr interessante Gespräche.

Ein Fehler ist ein Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen. Scheinbar bereits perfekte Vorstellungen sind dann plötzlich Fehler, die man bereinigen muss. So kann der Kreislauf von Fortschritt immer weitergehen und wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft, die nicht sexistisch, homophob oder rassistisch ist. Leider werden wir dann aber andere Fehler haben.

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