Viel Erfolg!

Herzliche Gratulation!

Text: SL, Rede Dr. iur. Barbara Loppacher ©, Rede Julia Haenni ©
Bilder: Roland Herzog und Martin Rizek

Ende Juni durften die Schüler*innen unserer Abschlussklassen ihre Zeugnisse in Empfang nehmen und gemeinsam mit Eltern, Angehörigen und Lehrer*innen an den Abschlussfeiern teilnehmen.

Die Anlässe wurden von stimmungsvoller Musik und Choreinlagen begleitet, der Rektor Paul Zübli führte durch die Feier.

Frau Dr. iur. Barbara Loppacher und die Performerin Julia Haenni begeisterten mit mitreissenden Reden, Vertreter*innen des Gemeinderates Wettingen waren ebenfalls anwesend: Der Gemeindeammann Roli Kuster und Sandro Sozzi würdigten die Abschlussklassen. Romy Schäfer und Flurin Widmer hatten als SO-Mitglieder und KSWE-Schüler*innen ebenfalls die Gelegenheit für einen Auftritt.

Liebe Schüler*innen der Abschlussklassen: Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre Zukunft, gehen Sie in die Welt hinaus und kommen Sie dereinst gerne zurück auf einen Besuch Ihrer Kanti Wettingen!

SL

Rede Dr. iur. Barbara Loppacher

Rede Julia Haenni

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Maturafeier Kantonsschule Wettingen 28. Juni 2019

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Rede von Dr. iur. Barbara Loppacher

Liebe Maturandinnen, liebe Maturanden
Liebe Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte der heutigen Absolventinnen und Absolventen,
geschätzte Lehrkräfte
Liebe Gäste

Es ist Sonntagmorgen gegen 10 Uhr. Gerade habe ich genüsslich in mein Sonntagsbrötchen gebissen als mein Piketttelefon klingelt. Die Notrufzentrale der Kantonspolizei Aargau vermeldet eine tote männliche Person in einem Schrebergarten in Aarau, die Umstände seien noch unklar. Schnell ziehe ich meine Schuhe an, nehme die bereits mit Regenschutz, Handschuhen und einem Notproviant bestückte Tasche und mache mich auf den Weg nach Aarau. Als ich etwa 45 Minuten später bei leichtem Nieselregen im Telliquartier in besagtem Schrebergarten eintreffe und durch die wartenden Polizeibeamten in Empfang genommen werde, ist noch völlig unklar, wie sich mein weiterer Sonntag gestalten wird. Der tote Mann, ca. 180 cm gross, feste Statur liegt in Freizeitkleidung, d.h. Jeans und Pullover in Rückenlage auf dem Boden, neben ihm befindet sich ein aufgespiesstes Spanferkel, parat um gegrillt zu werden. Neben dem Kopf des Toten ist etwas Blut zu sehen. Unweit daneben stehen der Rechtsmediziner sowie zwei Polizeibeamte der Spurensicherung. Was ist die Todesursache schiesst es mir durch den Kopf? Ein Tötungsdelikt? Ein Unfall? Ein Suizid oder ein Herzinfarkt?

In etwa so hat sich Ihr Rektor meine Tätigkeit wohl vorgestellt, als er mich in einem der zahlreichen Medienberichte über den Vierfachmord in Rupperswil sah und mich im letzten Herbst anfragte, ob ich die heutige Maturarede halten würde.
Ich sagte spontan zu, nicht ahnend, dass mir das Verfassen der Rede dann doch einiges an Kopfzerbrechen bereiten würde, sollte ich Ihnen doch eine Kurzanleitung für ein «zufriedenes und glückliches Leben» mitgeben, so jedenfalls der Auftrag Ihres Rektors.

Ich erinnere mich gerne an meine Zeit in der Kantonsschule Wettingen, auch wenn es nun bereits 24 Jahre her ist als ich am selben Ort wie Sie heute das Maturazeugnis entgegennehmen konnte. 
Eine sehr fleissige Schülerin war ich nicht. Anfang der neunziger Jahre musste man sich noch zwischen fünf inhaltlich nach Ausrichtung fest vorgegebenen verschiedenen Maturitätstypen entscheiden. In der Kantonsschule Wettingen waren das Neusprachliche Gymnasium mit Schwergewicht auf den modernen Sprachen, dann der Nachfolger des kantonalen Lehrerseminars sowie die damalige Diplommittelschule untergebracht. Da ich unbedingt auf der Klosterhalbinsel die Schule besuchen wollte, blieb mir keine grosse Wahl und ich entschied mich für den damaligen Typus D mit den Sprachen. 
Die vielen Sprachen waren wohl eher für sprachaffinere Personen geeignet als für mich und so blieb ich wohl nicht wegen meiner schulischen Erfolge bei der damaligen Lehrerschaft und Schulleitung in Erinnerung, sondern weil ich dazu neigte, meine Meinung kundzutun, auch wenn sie nicht immer ins Konzept passte.

Ich fühlte ich mich von Anfang an sehr gut aufgehoben in dieser geschichtsträchtigen Umgebung, in diesen wunderschönen Räumen des ehemaligen Klosters. An diesem Ort entdeckte ich, wie ich mich für etwas begeistern konnte, wie ich Feuer fangen konnte für Themen oder Gebiete, welche mir bis anhin verschlossen waren. Ich lernte aber auch, dass es nicht immer möglich ist, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, dass Kompromisse durchaus einen gangbaren Weg darstellen können und dass es manchmal richtig und wichtig ist, Dinge einfach stehen zu lassen. Im Rückblick bin ich vor allem für diese Erfahrungen und Lektionen in den vier Jahren meiner Zeit an der Kantonsschule sehr dankbar.

24 Jahre später führt meine Tätigkeit als Staatsanwältin dazu, dass meine Arbeit manchmal öffentlicher ist als bei anderen Berufen. 
Fast alle lieben Krimis, schauen sich den Tatort oder eine andere Serie an und stellen sich die tägliche Arbeit wohl wie in meinen Anfangssätzen vor.
Als Staatsanwältin führe ich Strafuntersuchungen, die mal kleiner und mal grösser sind. Sowohl scheinbare Bagatelldelikte wie Taschendiebstähle als auch Tötungsdelikte landen auf meinem Tisch. Gerade bei grösseren Delikten wie bei solchen gegen Leib und Leben ist die Aufklärung mitunter schwierig. Es gilt zusammen mit der Polizei akribisch allen Möglichkeiten nachzugehen, Spuren zu sichern, Einvernahmen durchzuführen, scheinbar Offensichtliches kritisch zu hinterfragen und auf keinen Fall aufzugeben: 
Im Gegensatz zum Tatort am Sonntagabend oder anderen Krimis dauern unsere Ermittlungsverfahren in der Regel länger als 1 ½ Stunden. In der Anfangsphase eines Tötungsdelikts arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft mit Hochdruck und praktisch ohne Unterbruch, weil wichtige Daten wegen des drohenden Verlusts sofort gesichert werden müssen, weil allfällige Täter im nahen Umfeld dann die grössten Fehler machen und auch weil viele Spuren sehr vergänglich sind. Ein schnelles Handeln entscheidet in der Regel über Erfolg oder Misserfolg.

Erinnern Sie sich an den toten Mann im Schrebergarten, über den ich Ihnen am Anfang erzählt hatte? Es stellte sich im Laufe der Abklärungen heraus, dass er für ein Familienfest zu seinem 70. Geburtstag ein Spanferkel am Spiess vorbereiten wollte und währenddessen einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Bluttropfen auf dem Boden neben seinem Kopf waren durch das Aufschlagen seines Kopfes entstanden und nicht etwa durch eine Dritteinwirkung. 

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Natürlich um Ihnen eine Tätigkeit bei den Strafverfolgungsbehörden schmackhaft zu machen. Im Ernst: 
Sie erhalten heute mit der Matura das Ticket für die weitere Berufslaufbahn. Ihnen stehen sprichwörtlich Tür und Tor offen für die Gestaltung Ihres weiteren Berufslebens. Sie können unter unzähligen Möglichkeiten auswählen. 

Die Wahl des richtigen Studiums oder Berufs gestaltet sich nicht immer ganz einfach. Vielleicht wissen Sie heute schon ganz genau, was Sie im Anschluss an die Matura als Nächstes in Angriff nehmen wollen – abgesehen von den wohlverdienten Ferien natürlich.

Vielleicht haben Sie auch keinen genauen Plan. Dann geht es Ihnen wie mir damals vor 24 Jahren. Ich wusste schnell, dass aufgrund meiner Fähigkeiten und Interessen weder ein auf Mathematik noch auf Sprachen ausgerichtetes Studium in Frage kommen sollte. Ich nutzte dann ein Zwischenjahr, um einerseits erste Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln und um mir andererseits darüber klar zu werden, welches Studium und welche Tätigkeit zu mir und meinen Interessen passen könnten. 
Ich bin überzeugt, dass auch Sie heute sehr genau wissen, was Sie interessiert, wo Ihre Stärken und Schwächen liegen und welche Ressourcen Sie in sich selber finden.
Bei mir war es damals das Interesse am genauen Formulieren und Verfassen von Texten. Ich redete gerne, argumentierte mit Freude und versuchte das Gegenüber zu überzeugen. Mein Interesse für Geschichte und Politik und mein Gerechtigkeitssinn waren dann wohl die entscheidenden Faktoren für die Wahl des Jus-Studiums.

In meinem heutigen Beruf brauche ich viel Leidenschaft, Geduld, Durchhaltevermögen, aber auch Kombinationsfähigkeit, analytisches Denken und Neugierde für die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Teamarbeit, Kooperation mit anderen Fachstellen und Kreativität sind weitere wichtige Faktoren. In grossen Untersuchungsverfahren vergesse ich oft die Zeit, esse, trinke und schlafe in den ersten Tagen sehr unregelmässig und muss auch Privates hinten anstellen. Ich tue es nach wie vor mit Begeisterung. 

All die Eigenschaften wurden mir nicht in die Wiege gelegt, sondern entwickelten sich auch im Laufe der Zeit. Geduld ist nach wie vor keine Kernkompetenz von mir.

Begeisterung und Leidenschaft sind die Grundlagen für ein erfolgreiches Wirken und Werken – egal in welchem Bereich. 
Ich wiederhole mich, wenn ich Ihnen mitgebe, dass Sie heute am Tor der Berufswelt stehen. 
Freuen Sie sich auf weitere spannende Jahre. Sie haben mit dem heutigen Tag quasi die Pflicht erfüllt, nun folgt die Kür. 
Entdecken Sie Ihre Stärken, Ihre Leidenschaften, Ihre Interessen. Bei welchen Tätigkeiten vergessen Sie die Zeit?
Wo sehen Sie sich dereinst? Was begeistert Sie, wo entdecken Sie Ihre Interessen? Welche Fähigkeiten möchten Sie weiterentwickeln?

Eine Kurzanleitung für ein glückliches und zufriedenes Leben, sollte ich Ihnen heute präsentieren: muss ich es herabbrechen auf das Wesentliche, dann ist es das: Begeisterung und Leidenschaft für das, was ich tue. Und eine gewisse Dankbarkeit dafür, dass das möglich ist. An dieser Stelle: herzlichen Dank, sehr geschätzte Lehrerinnen und Lehrer für Ihren Einsatz! Ihre Aufgabe ist nicht immer einfach und wird auch nicht immer ausreichend geschätzt. Aber glauben Sie mir, Ihre Schülerinnen und Schüler werden in den nächsten Jahren dankbar auf das zurückgreifen, was sie hier lernen und erfahren konnten und spätestens in 24 Jahren das in einer dann zu haltenden Maturarede zum Ausdruck bringen.

Liebe Maturandinnen und Maturanden.
Ich wünsche Ihnen immer wieder den Mut, Neues auszuprobieren, die Leidenschaft, sich tief in eine Materie einzuarbeiten und die Neugierde, auf das Neue offen zuzugehen.
Ich wünsche Ihnen die Kraft, auch schwierige und herausfordernde Zeiten durchzustehen und die Geduld, etwas wachsen und entstehen zu lassen.

Sie haben mit der Matura einen wichtigen Schritt gemacht, haben gezeigt, dass Sie bereit und «matur» sind, die nächsten Schritte zu gehen.

Herzliche Gratulation! Ich bin sicher, das kommt gut!

Dr. iur. Barbara Loppacher

 


über die lücke. maturfeierrede 2019

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Rede von Julia Haenni


und dann hat man die endlich im sack diese matura und die leute sagen


so hä?
jetzt aber hä?
jaja hä?


sie sagen jetzt

jaja jetzt jetzt
jetzt fangt de ernscht vom läben a jetzt bisch erwachse
sagen sie
jetzt isch fertig luschtig
jaja nenei das läbe isch kein ponyhof schaffe schaffe schaffe
so gsehts us


sie sagen
mach öppis us dir
also mach öppis RECHTS s us dir bis fliissig
schaff dich ufe schla dich dure
duruf die karriereleitere und zwar steil los chlettere jaja das chunt nöd vonellei
s glück gheit niemertem eifach in schoss und es isch no kein meischter vom himmel gheit und tröim werdet ersch wahr wemmer öppis defür schaffet imfall


sie sagen
tu lerne lerne lerne wil wüsse isch macht und macht isch geld das isch der scho klar!?
sie sagen
bis zur richtige ziit am richtige ort bis wach pass uf
bis allziiiit bereit din platz iizne first come first serve
survival of the fittest
chance chömed nöd zweimal und niemeret wartet uf dich und carpe diem
loooos
du bisch d zuekuenft loooos
 

wasi meine sagen sie
verhängs eifach nöd la di nöd ablenke entscheid di
und entscheidi guet und vergiss nöd
em meier sin sohn de isch imfall jetzt scho ceo
und d steffi het imfall näb de sportkarriere au no es medizinstudium gmacht ich sägs nume
sagen sie und bisch sicher bisch sicher dass der sicher bisch dass sicher das mache wetsch unds dänn nöd plötzli öppis anders isch sicher bisch sicher dass emal sicher geld
verdiensch mit dem bisch sicher sicher dass dich das LANGFRISCHTIG GLÜCKLICH macht sicher hä?

uff
dachte ich
als ich vor 12 jahren da sass wo sie jetzt sitzen, liebe maturandinnen und maturanden und nickte selbstbewusst
vielleicht ein bisschen selbstbewusster als ich eigentlich war aber ja klar
raus ins leben!
keine chance ziehen lassen!
das nahm ich mir vor
mich reinzustürzen und nichts anbrennen zu lassen! auf keinen fall!
und erst zu ruhen, wenn ich meine träume erreicht haben werde


aber
wenn ich ganz ehrlich bin
dachte ich erst mal vor allem eins nie. wieder. mathe.


seither ist viel passiert meine damen und herren
und ja ich stehe heute als gut ausgebildete studierte theatermacherin vor ihnen, deren
stücke heute national und international gespielt werden. ich stehe wohl als jemand vor ihnen die sich das was sie wollte holte und hart erarbeite, und keine chance ausliess. eine die das
 
geworden ist, wovon sie geträumt hat, da während der maturfeier, nach dem sich der nie wieder mathe gedanke in ihrem hirn freudig verflüssigte und platz für anderes liess.


aber darüber möchte ich heute nicht sprechen. überhaupt nicht. ich möchte nicht über beruflichen erfolg sprechen. nicht über sogenannt erfolgreiche lebensläufe. jedenfalls nicht im üblichen sinne. sondern über das dazwischen, das daneben, die momente, wo ein lauf einmal vielleicht auch nur ganz kurz unterbrochen wird, angehalten, pausiert, verändert.
ich möchte über die lücke sprechen.


und die geschichte von nennen wir sie mal ursina erzählen
oder urs. wenn ihnen das lieber ist.
da darf jetzt jemensch selbst aussuchen. man soll sich ja auch bisschen identifizieren.


ursina
die perfekte ursina
sie war irgendwie immer die perfekte ursina nichts so oberflächenperfekt als ursina
mehr so ein wunderbarer mensch mit einem wunderbaren leben wo irgendwie alles zu stimmen schien ursina


ursina


sie hatte eine renommierte ausbildung gemacht, einen tollen job gefunden in einer tollen firma, dort in kürzester zeit einen teil der geschäftsleitung übernommen und am aufbau der firma weiter mitgearbeitet. sie hatte schöne klamotten, genug geld für eine einfache aber sehr schöne ruhige wohnung. ja, sie verdiente ihr geld mit dem was ihr freude machte und konnte sehr gut leben damit. sie hatte eine feste beziehung seit jahren, die wunderbar zu laufen schien, tolle freunde und und und. sie hatte alles richtig gemacht. wie man sagen würde. fehlten nur noch die kinder.. sagten wir manchmal kichernd.
aber eines tages sagte ursina zu mir mit einem gesicht dass ganz klein geworden war wie nach innen gekippt: ich kann so nicht weiterleben. ich bin nicht glücklich und wenn ich daran denke, dass es immer so weiter geht wird mir mein herz ganz klein.


also ging sie, ursina. sie ging auf reisen, alleine, nahm sich eine auszeit vom “richtigen leben”. wie man so sagt. und allen war klar, die kommt wieder. die ist jetzt vielleicht bisschen
überarbeitet. muss bisschen runterkommen und dann ist alles wieder normal und geht weiter wie immer. lückenlos. strahlend. wird sie das angefangene leben weiterlaufen. was denn sonst?


aber so war es nicht. ursina kam zurück. sie kam zurück und probierte es nochmal zwei monate, ihr altes leben. und dann sass sie wieder vor mir mit einem jetzt braungebrannten und erholten gesicht, dass aber wieder oder immer noch nach innen gekippt war. ich kündige meinen job, vergebe meine wohnung und alle meine möbel und geh weg. wohin
 
fragte ich? einfach so fragte ich? wie lange fragte ich? und was ist mit dem geld? deinen freunden? all dem, was du dir erarbeitet hast? das bist doch du, das ist doch dein leben!? ich weiss es nicht. sagte ursina. das ist es ja. ich muss es rausfinden.
und sie meinte was sie sagte. sie kündigte ihren job, was dort niemand verstehen konnte, hatten sie doch auf sie gesetzt, längerfristig auf sie gesetzt, ihr chancen gegeben für die zukunft und jetzt das??? ursina zitterte als sie vom letzten treffen mit ihren chefs kam, der wütend war, wie sie ihn nie gesehen hatte. aber es fühlt sich richtig an, sagte sie. und ihr gesicht kippte ein kleines bisschen mehr wieder zurück. und da wusste ich, dass sie recht hatte. ursina ging in ein fernes land ohne ziel und plan. zum ersten mal in ihrem leben. dort lernte sie sich selbst besser kennen, arbeitete in einer kneipe und verliebte sich in einen mann, mit dem sie weiterzog bis sie in einem anderen fernen land einen stein auf den kopf bekam und mit dem mann zusammen mit der rega zurück in die schweiz flog. dort erholte sie sich von ihrer hirnerschütterung und schaute zwei monate lang jeden tag stunden für stunden aus dem fenster. sie sah wie die farben des himmel sich veränderten über den tag.
wie die vögel je nach wetterlage anders flogen und wie schön das war. und sie dachte nach. darüber. und über ihr leben. und was das vielleicht mit diesem himmel zu tun hat und
diesem blau. diesen blautönen. die sich verändern. jeden tag. neu.


jetzt, zwei jahre später macht ursina eine komplett andere ausbildung, die ihr wahrscheinlich nur sehr wenig geld einbringen wird. sie wohnt wieder in der schweiz, jetzt zusammen mit dem mann aus dem land wo sie war, bevor der stein kam. in einer minikleinen wohnung. sie tanzt jeden tag, ist kerngesund wie nie und vor allem: sie strahlt. sie strahlt mit einem vollen ganzen gesicht, als wären ganz viele blüten in ihr die beschlossen nie wieder herbst zu werden.


das mag alles lustig klingen. unrealistisch. absurd. die geschichte von ursina. es ist eine wahre geschichte, aber das ist eigentlich egal. und ich kenne viele solche geschichten von den menschen um mich oder von meiner generation. aber auch das ist egal. und es ist bestimmt nicht jemenschs sache, so ein weg, so ein leben, wie es ursina unerwarteterweise eingeschlagen hat. auch das ist egal.
der punkt ist.
für mich wurde ursinas geschichte zu einer art vorbild. nicht weil ich dasselbe machen wollte. oder so sein wollte.
sondern, weil ursina jemand war und ist, die die lücke in ihr leben hat treten lassen. und mutig in sie hineingesprungen ist um in den tiefen neue schätze zu finden.


ja die lücke.
etwas, was ich bis zum dem zeitpunkt wo ursina mir ihre geschichte erzählte nicht kannte. geschweige denn daran gedacht hätte. ich war viel zu sehr darauf fokussiert, erfolgreich zu sein und meinen lebenslauf voranzurennen. da waren hürden klar, aber die übersprang ich. niemals hätte ich etwas aufgegeben oder eine chance vorbeiziehen lassen. ich machte alles und gab alles. beruflich. und so war ich immer im stress, immer allem hinterher, und mein soziales leben war nur noch als entschuldigungsmodus vorhanden. sorry keine zeit, sorry muss schon wieder los, sorry bin zu spät, ja kann schon zu deinem geburtstag kommen aber ich muss dann wieder gehen nach einer stunde hoffe das ist okay sorry aargh ja sorry ich weiss ich hab dein geburtstag vergessen aber weisch ich hatte einen termin, eine
 
aufführung! ich machte alles gleichzeitig, vier fünf projekte immer mindestens parallel und das in verschiedenen städten und ländern, ich zog meine zwei studien in einem stracks durch, zwei hintereinander. arbeitete nebenher und trat an jeder aber wirklich JEDER hundsverlocheten auf. in besetzten häusern, in art spaces in der baden würtembergischen pampa, in läden in köln, auf openairfestivals im aargauer wald, bei thermalbaderöffnungen, geburtstagen und was es sonst noch alles so gibt. (maturfeiern zum beispiel.)
hautpsache keine lücke, keine chance verpasst, auf keiner bühne des lebens, auf jeder hochzeit. pausenlos.


und dann merkte ich
als mir ursina ihre geschichte erzählte
dass ich wenn ich ehrlich bin auch nicht zufrieden war und mir viel fehlte. wie konnte das sein? jetzt wo ich alles erreicht hatte, was ich immer wollte? vom theater leben? in verschiedenen ländern arbeiten? jetzt wo alles da war woran ich so lange gebaut hatte!?


und ich dachte an ursina und ich dachte an lücken in lebensläufen lücken in denen man einmal durchatmen
mal alles aus der distanz betrachten kann
in der man sich selbst und die welt einmal in ruhe anschauen kann
ohne nur ständig mit dem grossen ziel vor augen und vollgepackten agenden an allem vorbeizurennen
in der unerwartetes überhaupt einzug finden
und dinge überhaupt entstehen und wachsen können neue wünsche, neue horizonte, neue taten


ja ursina hat einen knicks im lebenslauf, sie ist nicht mehr eine sogenannte erfolgreiche person und es gibt wohl einige die ihre entscheidungen für verrückt halten. und wer weiss. vielleicht wird sie irgendwann wieder in ihren alten beruf zurückkehren, vielleicht nicht, vielleicht wird sie die schweiz wieder verlassen, vielleicht nicht. wir können es nicht wissen und sie kann es nicht wissen. aber ich bin überzeugt, dass ursina keine angst mehr vor der lücke hat. vor dem ungewissen, ungraden, ungeplanten, unkontrollierten, was im leben kommen mag. und dass sie immer das tun wird, was sie für richtig hält. das, was ihr bauch sagt und ihr herz. und nicht ihr kopf. oder die köpfe um sie herum. und egal ob es cool ist oder nicht. je älter man wird desto egaler wird das eh mit dem coolsein das kann ich ihnen sagen. und das ist sooo erleichternd!


es kann ja nur sie selbst wissen, was sie glücklich macht. wer sonst?


und glück hat möglicherweise sehr wenig mit dem beruflichen erfolg zu tun. oder nur teilweise. oder nicht immer. auf jeden fall ist da noch sehr viel anderes, was es für sich zu entdecken gibt in so einem leben und in sich selbst als so ein mensch.

und ich? ich hatte vor lauter beruflichen zielen auf die ich hinarbeitete vergessen momente einzuplanen, um auch einfach mal zufrieden zu sein. über das was ich geschafft hatte. über
 
die dinge die mich vielleicht glücklich machen NEBEN meinem beruf. um mich zu fragen, was ich mir noch oder jetzt wünsche, wo ziele erreicht sind, wo ich älter bin, wo die welt sich verändert hat, wo neue horizonte aufgegangen sind.
und eben auch momente, lücken in denen in denen ich an der welt teilhaben kann, sie mitbekomme, mitprägen kann, weil ich offen bin, weil ich nicht nur auf mich selbst und meinen weg fokussiert bin.


und das ist das zweite was ich ihnen mitgeben will. nur wer die lücke zulässt
kann sich doch zur welt verhalten in der er oder sie oder stern lebt
wer nur immer mit dem voranrennen seines lebenslaufs beschäftigt ist, hat gar keine augen für alles was um ihn oder sie herum passiert. geschweige denn eine haltung.
und ja jede und jeder muss machen was er und sie für sich selbst für richtig empfindet. unbedingt. aber sie haben auch eine verantwortung dabei. als erwachsene mündige menschen, haben wir alle, sie alle eine verantwortung für die welt, in der wir, in der sie leben. wir prägen sie mit mit allem was wir tun und wir müssen sie unbedingt mitprägen mit allem was wir tun. aber dafür müssen wir offen sein, lückenhaft. wenn wir nie anhalten, wie soll das gehen? wie sollen wir die menschen um uns herum, die gemeinsam mit uns dieses gefüge bilden, in dem wir leben, mitbekommen, wenn wir nur immer rennen rennen rennen und niemals anhalten???? keine zeitung lesen, keine debatten verfolgen, das abstimmen vergessen und nicht mitkriegen, wenn der nachbar stirbt oder die freundin weint?


soorry keine zeit muss arbeiten, ja tut mir leid, dass die welt untergeht, aber mein termin wartet auf mich.


nein.


ich habe mein leben nicht komplett geändert, als mir die lücken im kopf aufgegangen sind. aber ich plane mehr von diesen lücken ein, momente die noch nicht vollgeplant sind, wo es mal kurz kein MUSS mehr gibt. ich sage auch mal was ab, auch wenn ich es toll fände und damit vielleicht eine chance vorbeizieht. ich mache manchmal nichts. so gut es geht. ich gönne mir lücken. wo sich dann mein ich immer wieder neu fragen kann: wie wars? und was jetzt? und wo bin ich? und wer ist um mich rum? und wo neue ideen sich ausbreiten und neue menschen in mein leben treten für die ich sonst keine zeit gehabt hätte. weltanteile, die ich verpasst hätte.
und momente, wo das glück in ganz verschiendenen formen und längengraden, beruflich aber auch ganz und gar nicht beruflich, platz fidnet, weil ich es nicht mehr verpasse, wenns vorbeikommt dieses glück. denn manchmal … ziemlich oft sogar... sieht es ganz anders aus als man sich das so vorstellt, dieses glück.


also ja es ist alles ein bisschen so geworden wie ich mir das vorgestellt hatte, damals vor 12 jahren als ich da sass wo sie jetzt sitzen. nur doch ganz anders. und das ist es ja eben.
 
jetzt hesch die matur im sack du sagen sie
jetzt gaz los hä
sagen sie
und sie sagen eben auch wenn sie ehrlich sind
es chunt erschtens andersch und zweitens als mer denkt


und wissen sie was?
das ist sehr sehr gut so!
ich mein stelled sie sich emal vor sie müesstet jetzt alles wüsse wies erschtens chunt und zweitens wie sie denket! stelled sie sich emal vor was wär wenn alles emal entschide und dann für immer so wär? ide politik zum bischpil!! furchtbar!
nei stelled sie sich lieber vor was das immer wieder und immer wieder neu für chance bedütet wenn immer wieder alles andersch cha werde und sich immer wieder alles veränderet! und sie das chönd mitmache!


ebe.

liebe maturandinnen und maturanden
ja, sie stehen an einem wichtigen punkt in ihrem leben und chancen tun sich vor ihnen auf bis zum umfallen
und ja sie dürfen sein was und wer sie wollen, was noch nicht lange und noch lange nicht immer eine selbstverständlichkeit ist
sie können alles sein, also legen sie los
schreiben sie mutig und tatkräftig ihre geschichte so wie sie sie wollen für eine welt wie sie sie wollen
aber legen sie den stift auch mal kurz beiseite und lehnen sie sich zurück oder verstecken sie sich einen tag lang vor ihrem handy
machen sie umwege
nehmen sie falsche abzweigungen die sich dann als richtig erweisen nehmen sie falsche abzweigungen die sich dann als falsch erweisen fangen sie nochmal neu an
immer wieder
drehen sie sich im kreis
fahren sie an die wand und verursachen sie einen blechschaden fliegen sie auf die fresse
gerne auch mehrmals


aber bleiben sie flexibel im kopf und im herzen bleiben sie offen für lücken
gerade in unserer zeit wo lücken zugehen in herzen und gesichtern die vor lauter bildschirmen, vor lauter konkurrenzkampf und profitgier und vor lauter angst vor dem neuen nicht mehr über den eigenen tellerrand oder die eigene hecke hinaussehen wollen
 
erweitern sie lieber ihren horizont als ihre garage


lassen sie die lücken vorkommen gönnen sie sich lücken
schaffen sie lücken springen sie in lücken immer wieder
für sich und andere
für anderes und neues für unerwartetes
für das was nicht planbar ist für das leben

oder lassen sie es mich mit einem kleinen dialog sagen, den ich letztens auf einem werbezettel für quereinsteiger*innenberufe gelesen habe und ders auf den punkt trifft:

ähm sie haben da eine lücke im lebenslauf?

ja, war geil.

 

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