Fokus Perspektiven

Ein Gespräch mit dem Studien- und Laufbahnberater Stefan Willener

Interview: Uwe Kersten
Bild: Uwe Kersten

Stefan Willener ist Studien- und Laufbahnberater bei ask! in Baden. In seiner beratenden Tätigkeit eröffnet er für die Schüler*innen der KSWE neue Perspektiven bei ihren Zukunftsentscheidungen. Ausserdem erteilt er den obligatorischen Berufswahlunterricht an der FMS. Im Gespräch erläutert er, wie die jungen Erwachsenen bei Ihren Entscheidungen unterstützt werden.

Herr Willener, wie hat sich Ihre eigene Berufsperspektive entwickelt?

Nach der Kantonschule habe ich ein Zwischenjahr eingeschaltet, dann das Psychologiestudium aufgenommen, noch im Lizenziatssystem. Im Nebenfach habe ich Psychopathologie bei Erwachsenen studiert, verbunden mit zahlreichen Praktika. Da mein ursprüngliches Ziel die Arbeit als Betriebspsychologe war, habe ich im zweiten Nebenfach Betriebswirtschaft gewählt. Nach Abschluss des Studiums haben sich meine Perspektiven dann verlagert: Zunächst bin ich bei der Invalidenversicherung in die Berufstätigkeit eingestiegen, also mit der Beratung von Leuten, die unfreiwillig ihren Beruf wechseln müssen, sei es wegen Krankheit, Unfall oder wegen ihrer Grundkonstitution. Dort konnte ich das betriebswirtschaftliche und das psychologische Wissen aus dem Studium gut einbringen. Berufsbegleitend habe ich das Nachdiplomstudium in Studien- und Laufbahnberatung absolviert.

Wen beraten Sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Studien- und Laufbahnberater?

Während die Berufsberatenden v.a. mit Volksschüler*innen beim Übergang in die Sekundarstufe II bzw. in die Berufslehre arbeiten, unterstütze ich als Studienberater beim Übergang von der Mittelschule in weiterführende Hoch- und Fachhochschulen. Zu uns kommen Gymnasiast*innen, FMS-Absolvent*innen oder auch Berufsmaturand*innen. Aber wir beraten auch Student*innen während des Studiums oder z.B. am Übergang vom Bachelor zum Masterstudium. In der kostenpflichtigen Beratung für Menschen ab 25 Jahren kommen sogar 60-Jährige, die eine neue Perspektive entwickeln wollen. Wir machen auch Laufbahnberatungen fürs Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV). In meinen Bereich fallen Menschen mit akademischem Hintergrund, dazu gehören z.B. auch Geflüchtete. Die jungen Erwachsenen im unentgeltlichen Bereich machen aber etwa 60% der Klient*innen aus.

An den Hochschulen gibt es auch Studienberatungen. Worin unterscheidet sich Ihre Arbeit von diesen?

Wir haben sicher einen neutraleren, institutsunabhängigeren Fokus. Wenn jemand schon weiss, er will an die ETH, aber er weiss nicht, welche Studienrichtung es genau sein soll, dann empfehle ich die sehr gute Beratung an der ETH selbst. Die Uni hat auch entsprechende gute Einrichtungen. Wenn jemand z.B. Soziologie studieren möchte und unsicher ist, welches die genauen Inhalte und Abläufe des Studiums sind, kann er auch in eine Studienfachberatung gehen.

Jeder Entscheid für etwas bedeutet auch eine Entscheidung gegen die anderen Möglichkeiten. Das macht es für viele schwer. Diese Ziellosigkeit wird den Kantonsschüler*innen oft vorgeworfen.

Zu uns kommt nur ein sehr kleiner Teil von allen Mittelschüler*innen. Manche wissen schon in der ersten Klasse des Gymnasiums oder der FMS genau, was sie wollen, und streben dieses Ziel konsequent an. Andere haben aber wirklich noch keine Ahnung. In der Kanti kann man den Entscheid tatsächlich noch hinausschieben. Aber irgendwann muss er dann doch fallen.

Wie werden die Jugendlichen beraten? Macht man einfach Vorschläge?

Manche erwarten tatsächlich, dass wir Ihnen sagen, was sie tun sollen, dass wir ihnen die Entscheidung abnehmen. Natürlich haben wir Wissen über die Vielfalt der Möglichkeiten, und wenn jemand gar keine Ahnung hat, können wir ihm Hinweise geben. Aber es ist nicht so, dass wir Lösungen präsentieren, sondern wir geben Hilfestellungen, um sich diese selbst zu erarbeiten. Manche haben sehr viele Interessen oder sie können sich nicht zwischen zwei Studiengängen entscheiden. Ich hatte schon jemanden, der eigentlich alles gemacht hatte, um eine gute Entscheidung zu treffen, aber sich dann zwischen zwei Möglichkeiten doch nicht entscheiden konnte. Da stehen oft Ängste im Hintergrund. Ich versuche dann zu eruieren, was die Entscheidung verhindert und wie man weiter vorgehen könnte.

Über das Gespräch und verschiedene Hilfsmittel will ich ermöglichen, selbst eine Perspektive zu entwickeln. «Perspektive» kann dabei bedeuten, ein Ziel zu haben, es kann aber auch bedeuten, nach innen zu blicken, festzustellen, was einem Freude macht, was man gut kann. Dazu kommen Perspektiven von aussen, die reflektiert werden müssen: Die Eltern haben ihre Erwartungen und auch die Kantonsschule als Institution hat implizit oder explizit ihren Fokus. Der Weg über die Uni wird oft als eine solche Erwartung empfunden. Es geht darum, mit den Schüler*innen gemeinsam einen Weg zu gehen, damit sie gestärkt sind, um eine Entscheidung zu fällen.

Sind die kostenlosen Beratungen beim ask! begrenzt?

Eigentlich nicht. Wir versuchen schon eine Beratung grundsätzlich nach 3 Terminen abzuschliessen. Es gibt aber Leute, die immer wieder zu uns kommen, wenn eine Weiche gestellt werden muss. Die haben schon eine Geschichte mit uns.

Braucht es mehr Beratung als früher?

In den 12 Jahren, die ich bei ask! arbeite, gab es keine auffällige Zunahme. Das Internet macht den Zugang zu den Informationen zur Berufswahl ja heute einfacher. Früher gab es noch die Informationsmappen, die man hier vor Ort konsultieren musste. Jetzt gibt es z.B. die Website www.berufsberatung.ch mit sehr viel Informationen.

Die Entscheidung wird aber durch die Flut an Informationen nicht einfacher...

Das ist richtig, da braucht es unsere Hilfestellungen. Wir gehen in jede Kanti und versuchen Basiswissen zu vermitteln:  zum Vorgehen, zu den Informationsmöglichkeiten, zum Aufbau der Studiengänge usw. Damit können viele dann selbstständig weiter gehen. Wir bieten auch Workshops an. An manchen Schulen müssen die Schüler*innen sich einen ganzen Tag mit der Studienwahl beschäftigen. Hier kann schon einiges vor einer persönlichen Beratung aufgefangen werden.

Wie ist die Studienberatung der Gymnasiast*innen an der KSWE organisiert?

Anfang September finden die Informationstage von Uni und ETH statt. Wir finden es gut, wenn die Schüler*innen vorher die Grundinformationen erhalten haben. Darum führen wir bereits vor den Sommerferien unsere Infoveranstaltung für die 2. und 3. Klassen durch. Wir zeigen Ihnen die Unterschiede zwischen Uni, ETH und Fachhochschule. Wie funktioniert das Bachelor/Master-System? Was sind Credits? Ausserdem stellen wir die Informationsangebote der Hochschulen vor und fordern auf, diese zu nutzen. An die KSWE kommen jeweils im November auch Ehemalige, die jetzt im Studium sind, und erzählen von ihren Erfahrungen.

Müsste man noch mehr tun?

Am Gymnasium erfolgt die Studienberatung auf freiwilliger Basis. Wir von ask! würden uns wünschen, dass das einführende Programm «Matura und dann?» obligatorisch für alle wäre. Auch wer bereits ein bestimmtes Studienfach ins Auge gefasst hat, sollte seinen Entscheid nochmals überprüfen. Wie sieht das Studium denn in der Praxis wirklich aus? Deckt sich meine Vorstellung z.B. von einem Mathematikstudium tatsächlich mit der Realität? Man kann z.B. einmal eine Vorlesung besuchen und sich ein Bild machen. Es gibt immer wieder Leute, die nach dem Studienbeginn erschrecken und feststellen, dass vieles gar nicht ihren Erwartungen entspricht. Hier kommt noch eine weitere Perspektive hinzu, nämlich die vom Staat und der Volkswirtschaft: Studienabbrüche sind kostspielig und sollen möglichst vermieden werden. Die Beratung kann helfen, eine nachhaltige Entscheidung zu fällen.

Die FMS Schüler*innen haben ja obligatorischen Berufswahlunterricht.

Genau. Dieser ist im zweiten Jahr der FMS obligatorisch, zählt aber nicht für die Promotion. Der Fokus liegt hier stark auf dem Praktikum, das jetzt neu vor den Sommerferien stattfinden wird. Manchmal erwarten die Schüler*innen eine Liste von Praktikumsplätzen, wie sie die Gymnasiast*innen erhalten. Die Fachmittelschüler*innen müssen sich aber ihr Praktikum im Rahmen des Berufswahlunterrichts selbst organisieren.

Auch die Berufswahl wird an der FMS gegenüber dem Gymnasium ausführlicher thematisiert. Man geht vertiefter an die Themen heran, macht Übungen und lässt die Schüler*innen vieles selbst erarbeiten. Manches bringen Sie auch schon aus der Volksschule mit, wo die Berufswahl ebenfalls thematisiert wird. Im zweiten Semester wählen die Schüler*innen aus einem Angebot 10 bis 12 Workshops mindestens zwei aus. Auch wenn diese in den Randstunden gegen Abend stattfinden, wollen wir sie dazu bringen, sich dem Prozess mit Freude zu stellen.

Wie können Sie den Überblick über die Studienlandschaft behalten, wo sich die Ausbildungsgänge an den Hochschulen doch laufend ändern?

Bei den Fachhochschulen ist der Wandel sogar noch stärker als bei den Universitäten. Wir sind sehr bemüht, immer à jour zu bleiben. Wir recherchieren, abonnieren Newsletter und haben interne Veranstaltungen, an denen wir informiert werden. Auch die Hochschulen führen spezifische Veranstaltungen für die Studien- und Laufbahnberatenden durch.
Manchmal müssen wir aber auch spezifische Fragen mit den Schüler*innen in der Beratung gemeinsam recherchieren. Weil wir über unsere Tätigkeiten während der Arbeitszeit genau Rechenschaft ablegen müssen, gilt es immer abzuwägen, inwiefern die reine Recherchearbeit noch als produktiv betrachtet wird.

Herr Willener, vielen Dank für das Gespräch.

www.beratungsdienste.ch

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