Den Advent besinnlich zu gestalten, war 2004 die Idee von Alt-Rektor Dr. Urs Strässle. Mit Begeisterung griffen die ehemalige Spanischlehrerin Ada Abela, die sich an unserer Schule nachhaltig für Kultur eingesetzt hatte, und ich die Idee auf. Wir schufen in Anlehnung an die Tradition des Rorate («Betet»), die im Kloster während Jahren gefeiert wurde, ein neues Gefäss: die morgendliche Atempause im Advent.
Das interdisziplinäre Projekt Atempause im Advent war geboren. In diesem morgendlichen Innehalten werden fremdsprachige literarische Texte zur Geltung gebracht, die vorgelesen oder gesungen, mit projizierten Bildern aus der Kunst und mit Musikklängen ergänzt werden. Die Atempausen sollen zum Nachdenken und Diskutieren anregen, uns aus der Geschäftigkeit des Alltags ziehen und zur Musse einladen.
Wie sah die letztjährige Atempause im Advent aus? In der dunklen Morgenfrühe des 3. und 11. Dezember 2019 trafen wir uns – Schüler und Schülerinnen, Lehrpersonen und Mitarbeitende – bei Kerzenlicht an den mit Tannenzweigen, Mandarinen und Nüssen geschmückten Tischen in der Cafeteria. Es lag eine erwartungsvolle Stimmung im Raum. Die Bilder aus der Kunst deuteten den im Orient liegenden Ursprung des weihnächtlichen Ereignisses an und liessen erahnen, dass uns etwas Geheimnisvolles, Fremdes, erwartete. Zum Beispiel erläuterten Spanisch-Schüler*innen eine Szene mit Hirten, die im Dunkeln am warmen Feuer sassen und plötzlich durch das helle Licht von Engeln geblendet wurden. Die Schüler*innen zitierten in klingendem Spanisch das Gedicht von Lope de Vega (1562–1635) «Al nacimiento de Cristo» (Bei der Geburt Christi), welches davon berichtet, dass die Engel vom Frieden auf Erden sangen und von Gott, der in Bethlehem geboren wurde.
Russisch-Schüler und Schülerinnen sangen das ukrainische Weihnachtslied «Allreine Jungfrau», in dem es heisst:
«Dem strahlenden Stern nach
Könige gehen demütig
Drei berühmte Könige
Und bringen Geschenke
Als Opfergabe dem Christus.»
«Freue dich, Erde,
Christus ist geboren.»
Das Lied passte gut zu einem Bild, auf dem Männer auf Kamelen zu sehen sind, die einem Stern durch die nächtliche Wüste folgen.
«Freue dich!»
Die literarischen Texte nahmen uns mit ins Geschehen hinein. Wir waren ergriffen von den in verschiedenen Fremdsprachen vorgetragenen Worten. Auf unerklärliche Weise folgten wir der Aufforderung «Freue dich!». Es kam nämlich plötzlich unter uns Anwesenden Freude auf. War es «die Weihnachtsfreude», «la Gioia di Natale» (Maria Albina Scavuzzo), von der Italienisch-Schüler*innen geredet hatten? Möglicherweise. Jedenfalls summten wir bei den auf der Gitarre gespielten Weihnachtsliedern leise mit und stimmten ins französische Lied «Vive le vent» ein. Und wir nahmen uns vor, wozu uns Französisch-Schüler und Schülerinnen mit den Worten von Père Guy Gilbert (* 1935) in «Noël bientôt» einluden, die Weihnachtsfreude mit anderen zu teilen — zum Beispiel den Nachbarn, dem arbeitslosen jungen Paar oder der alten Frau unsere Küche zu öffnen und mit ihnen zu essen.
Gedichte, Lieder, Bilder, Gitarrenmusik und kurze Erläuterungen ergaben genug Gesprächsstoff für das anschliessende Zusammensein bei Kaffee, Tee und Gipfeli. Ein interdisziplinäres Projekt, das ganzheitliche Bildung fördert, ist mittlerweile zu einer schönen Tradition an unserer Schule geworden.
Ich danke meinen Mitgestaltern und Mitgestalterinnen Christophe Antony, Miguel Conde, Guiseppina Petarra, Dr. Martin Rizek, Karin Rüdt und den Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Fächer.
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