Unser geschätzter Kollege und Fachvorstand Geschichte Hansjörg Frank hat auf Ende Schuljahr 2020/21 nach über dreissig Jahren seine Lehrtätigkeit an unserer Schule beendet.
Sein Arbeitsplatz in der Mitte des Fachschaftszimmers Geschichte ist schon leergeräumt. Als Kolleginnen und Kollegen vermissen wir bereits die hohen Stapel der neusten Fachliteratur auf der leeren grauen Tischplatte. Dicke Bücher lagen dort als Aufforderung und Ansporn, jenseits des routinierten Unterrichtens wach zu bleiben für die aktuellen Themen des Faches. Fehlen wird uns auch der treuherzige Blick von Sennenhund «Willy», dem SVP-Maskottchen aus dem Wahlkampf 2014, zu lesen als sanft ironische Anspielung auf das Wahlkampfmotto «Frei bleiben» der Volkspartei. Es fehlt uns auch der Blick auf den blauen Velohelm und die schwarzen Handschuhe, die den Eintretenden signalisierten: «Hansjörg ist da»!
Eng mit dem «Wettinger Geist» verbunden
Hansjörg Frank war uns in der wachsenden Fachschaft Geschichte in vielem voraus. Er sah, was wir nicht sahen oder noch nicht bemerkten, er kannte, was wir noch nicht kannten. Wer mit Hansjörg auf einer Stadtführung in Baden unterwegs war, hörte zum ersten Mal etwas vom heiligen Nepomuk, vom Narrenschiff bei der Holzbrücke, vom Pestheiligen Sebastian oder vom Kirchenschatz in der Stadtkirche. Für die Ortsfremden eine stetige Herausforderung in Zukunft besser zu werden. Als Novizen erlebten wir uns erst recht, wenn das Kloster Wettingen als Ort lebendiger Geschichte zum Thema wurde. Als Fachvorstand Geschichte und im Besonderen als Absolvent des Internatsjahrgangs 1979 am Seminar Wettingen war Hansjörg Frank auch biografisch sehr eng mit dem «Wettinger Geist» des Klosters verbunden. Für die Fachschaft war der «Klosterparcours» mit dem Lösungswort «Stella maris, non mergor» eine unersetzliche Hilfe beim Einstieg in die Tücken der Klostergeschichte. Die spirituelle Welt der Zisterzienser angemessen zu würdigen, das Auf und Ab der langen Geschichte des Schulstandortes im jeweiligen Kontext zu verstehen und an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben war und ist eine Daueraufgabe für die Geschichtsvermittlung an der Kantonsschule Wettingen. Glücklich, wer bei einer solchen Aufgabe einen geduldigen Mentor wie Hansjörg Frank an seiner Seite wusste.
Wer mit Hansjörg Frank fachlich unterwegs war, der war gefordert. Da war nicht gemütliches Schlendern angesagt, sondern flottes Marschieren. Es ging immer um Grundsätzliches. Oder anders gesagt: Die Themen waren anspruchsvoll, mit dem Anspruch gestaltet, den Schüler*innen einen Einblick zu geben in die Wissenschaftlichkeit des Fachs Geschichte – das galt vor allem für das Ergänzungsfach in den vierten Abteilungen. «Sagen, wie es eigentlich gewesen ist» (Ranke) bedeutete für Hansjörg Frank immer Einstieg in die Archive. Die Schüler*innen sollten sich mit den originalen Quellen im Archiv für Zeitgeschichte oder auch im Sozialarchiv in Zürich beschäftigen können. In den Dokumentschachteln wurde gesucht und gefunden, wurden neue Fragen gestellt und es wurde weitergegraben. Der Geschichte ein Gesicht zu geben, war dabei immer ein zentrales Anliegen von Hansjörg Frank. Ans Licht gebracht wurden Geschichten von Frauen und Männern, die die Geschichte scheinbar vergessen hatte.
Das «Merkwürdige» erkennen
Anlässlich seiner Maturaansprache an der Feier 1995 mit dem Titel «Das Normale in der Geschichte», vertiefte Hansjörg Frank dieses für ihn zentrale Anliegen: Erinnert werde meist nur an das «Ausserordentliche» dazwischen bewege sich «die Menschheit offenbar geschichtslos», eben normal, «von einem herausragenden Ereignis zum andern». Wer diese Unterscheidung von «ausserordentlich» und «normal» vornehme, der schreibe die Geschichte. Dieser Vorgang sei letztlich eine Machtfrage, fasste er zusammen. An die Schüler*innen gewandt, ermutigte Hansjörg Frank, hinter die «vorgeschobenen Masken des Normalen zu sehen» und dabei das Besondere, «Merkwürdige» zu erkennen und daraus Geschichte zu schreiben. Dazu könne das Fach Geschichte als Denkschule einen zentralen Beitrag leisten.
Bald wird wieder «Normalität» einkehren, auch im Fachschaftszimmer der Geschichtslehrpersonen an der Kantonsschule Wettingen. Die Arbeitstische werden wieder belegt sein, andere übernehmen bestehende Aufgaben, setzen eigene Akzente und werden andere Bücher stapeln und hoffentlich auch lesen. Als Fachmann für Geschichte weiss unser Kollege Hansjörg Frank nur zu gut, über die Vergänglichkeit Bescheid, darum braucht es an dieser Stelle keine «wohlfeilen» Ratschläge für die Zeit danach – das wäre «Wasser in die Limmat getragen».
Aber bei uns in Wettingen, zwischen Nachttreppe und Refektorium, hast Du lieber Hansjörg über dreissig Jahre lang «Geschichte geschrieben», das darf nicht vergessen werden! Danke und ein herzliches «non mergor».
Für die Fachschaft Geschichte Hanspeter Koch