Fokus

Der Herr der Pläne

Text: Uwe Kersten
Bild: Martin Rizek, Peter Ott

Christoph Baldinger war seit 2002 Stundenplaner der KSWE. Er hat in den letzten 20 Jahren 40 Stundenpläne erarbeitet. Per Ende Schuljahr 21/22 übergibt er sein Amt an einen Nachfolger und eine Nachfolgerin. Im Gespräch blickt er zurück auf seine langjährigen Erfahrungen.

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Christoph Baldinger, demnächst werden Sie die Stundenplanung der KSWE abgeben. Wie erfolgt die Übergabe?

Die Übergangsphase zieht sich insgesamt über 2 Jahre hin. Im Schuljahr 19/20 haben wir einen Workshop durchgeführt, um interessierten Lehrpersonen zu zeigen, was auf sie zukommt. Julia Jäckel und Adrian Probst sind von der Schulleitung ausgewählt worden und arbeiten sich ein. In diesem Schuljahr 21/22 haben wir uns alle zwei Wochen getroffen und ich habe ihnen die Abläufe gezeigt. Im nächsten Schuljahr stehe ich immer noch für den Support zur Verfügung. Adrian Probst wird dann den Stundenplan für das zweite Semester machen und den ersten für das nächste Schuljahr. Julia Jäckel und er werden sich dann von Jahr zu Jahr abwechseln.


Ist Ihnen der eigene Einstieg in die Aufgabe damals leichtgefallen?

Da die Stundenplanung sehr komplex ist und viele Parameter zu berücksichtigen sind, braucht man etwa 3 bis 4 Jahre, bis man den gesamten Durchblick hat. Das Zuschauen beim Vorgänger hilft dabei wenig, man muss selbst am Computer sitzen. Mit der Zeit entwickelt man Routine.


Und Ihre Stundenpläne sind mit der Zeit immer besser geworden?

Mit Erfahrung und Routine weiss man immer besser, worauf man achten muss, und erreicht sicher ein besseres Resultat. Doch auf der anderen Seite ist auch immer Neues dazugekommen: das International Baccalaureate (IB), dann der Phasenunterricht. Ausserdem haben wir im Sport seit etwa 10 Jahren die Eineinhalblektionen. Diese erfordern ein zusätzliches Raster, quasi einen Stundenplan im Stundenplan. Als ich angefangen habe, hatten wir 35 Abteilungen, in diesem Stundenplan sind es 52.
 

Der Stundenplan prägt den Schullalltag von Schülerinnen und Schülern wie auch von Lehrpersonen sehr stark. Bekommen Sie viele Reaktionen?

Wenn es gut läuft, hört man nicht viel. Ich habe aber den Eindruck, dass auch die Kritik eher abgenommen hat. Eigentlich sind viele zufrieden. Wenn ich mit dem Stundenplan fertig bin, gehe ich die einzelnen Pläne durch. Von den 120 Stundenplänen sind dann vielleicht 3–4 aus meiner Sicht nicht so gut. Die anderen sind sehr gut oder in Ordnung. Die Änderungsanträge sind stark zurückgegangen, auch von Schülerseite. Wenn man eine Änderung will, muss man einen Vorschlag machen, der mit allen Beteiligten abgesprochen ist. Das ist bei der hohen Komplexität schwierig.


Kommt mehr Kritik von den Lehrpersonen oder von den Schülerinnen und Schülern?

Eher von den Lehrpersonen. Die Abteilungen wünschen sich oft einen freien Nachmittag. Ich versuche das bei den Abschlussklassen zu gewährleisten. Es kommt aber vor allem auf die Konstellation der Freifächer an, ob es tatsächlich möglich ist.


Stehen die Lehrpersonen und die Schülerinnen und Schüler in Konkurrenz um gute Stundenpläne? Wird da eine Gruppe priorisiert?

Grundsätzlich versucht man für beide die beste Lösung zu finden. Bei den Abteilungen gibt es aber viel weniger Möglichkeiten zur Optimierung. Viele haben einfach einen randvollen Stundenplan, bei dem sich nichts verbessern lässt. Bei den Lehrpersonen gibt es grundsätzlich mehr Lücken. Es kommt aber auch auf das Fach an und wie dieses mit anderen Fächern gekoppelt ist. Zum Beispiel als Deutschlehrperson unterrichtet man einfach seine Klassen. Sobald aber Teamteaching dazu kommt, wird es schon schwieriger. Das lässt sich nicht verallgemeinern.
Ich kann viele Wünsche und Sperrungen umsetzen. Niemand muss wegen nur einer Lektion an einem Tag an die Schule kommen. Das ist eine Qualität für die Lehrpersonen.


Wie wichtig ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Die Ansprüche haben zugenommen im Vergleich zu meiner Anfangszeit. Damals war die Verfügbarkeit grundsätzlich während der ganzen Woche gegeben. Heute gibt es viel mehr Teilpensen und die Kinderbetreuung ist viel wichtiger geworden. Das erschwert die Planung. Die Kitas wollen die Anmeldungen immer früh, wir können den fertigen Stundenplan aber erst kurz vor den Sommerferien erstellen. Für die Krippenplätze ist das schwierig. Ich bekomme schon 3 Monate im Voraus Anfragen nach den Unterrichtstagen, weil man die Plätze reservieren muss. Ich kann aber so früh noch nichts versprechen.


Wie gehen Sie konkret vor bei der Erstellung eines neuen Stundenplans?

Das Gerüst besteht aus den grossen fixierten Unterrichtsgefässen: Schwerpunkt-, Ergänzungs- und Berufsfeldfächer. Dann kommen die Freifächer dazu, weil diese oft von Schülerinnen und Schülern eines ganzen Jahrganges gemeinsam besucht werden. Auch der Phasenunterricht muss bereits zu Anfang geplant werden, sonst ist das nicht mehr zu bewerkstelligen. Dann werden die weiteren Lektionen vom alten Stundenplan auf das neue Jahr übertragen. Die vierten Klassen gehen raus, die neuen ersten werden eingefügt und alle eine Klassenstufe höher gesetzt. Wenn dann alle Lektionen verplant sind, versucht man die einzelnen Pläne zu optimieren.


Früher wurde der Stundenplan um die Sporthallenbelegung gebaut.

Der Sportstundenplan wird auch heute schon früh erstellt. Das Gleiche gilt für Bildnerisches Gestalten und Musik.  Je komplizierter eine Stunde ist, d.h. je mehr Klassen und Lehrpersonen involviert sind, desto früher muss sie im Stundenplan eingesetzt werden. Es geht immer vom Schweren zum Einfachen. Die kleinen Unterrichtspensen müssen früh verplant werden, damit sie nicht ganz verzettelt sind. Die grossen Pensen sind einfacher, weil die Lehrpersonen mehr zur Verfügung stehen.


Welche Rolle spielen die Raumkapazitäten heute?

Das Sporthallenproblem war jahrelang das Nadelöhr. Mit der neuen Halle hat sich das aufgelöst. Jetzt sind Bildnerisches Gestalten und Chemie die Fächer, wo die Raumauslastung an Grenzen stösst. Diese Fächer benötigen spezifische Fachräume, von denen wir eigentlich zu wenige haben. Das schränkt die Planung ein.


Welches sind für Sie die grössten Knacknüsse beim Stundenplan?

Wenn alle 1200 Lektionen einmal verplant sind und der Stundenplan grundsätzlich funktioniert, ist ein grosser Schritt getan. Dann kann man noch optimieren. Neben dem Sportstundenplan ist auch der Stundenplan für die IB-Abteilungen in der 3. und 4. Klasse eine Herausforderung. Damit alle Lektionen untergebracht werden können, müssen bei den Freifächern Positionen aufeinandergelegt werden. Dabei muss ich berücksichtigen, wie die Schülerinnen und Schüler individuell gewählt haben. Es gibt jedes Jahr Kombinationen von Freifächern, die problematisch sind. Dieses Jahr gibt es zwei Schülerinnen, die haben in der zweiten Klasse Spanisch und Chinesisch gewählt. Da beide Freifächer gleichzeitig stattfinden, müssen sie sich in der dritten Klasse für eines von beiden entscheiden.


Schulreformen betreffen immer auch den Stundenplan. Wird dabei der Stundenplaner einbezogen?

Ich habe schon viele Simulationen für die Umsetzung von neuen Projekten gemacht. Bei kantonalen Vorhaben wie z.B. dem neuen FMS-Lehrplan wird die Umsetzung oft vorgängig nicht abgeklärt. Bei Neuerungen an der KSWE wird der Stundenplaner immer früh einbezogen. Es gab die Idee, den Phasenunterricht für alle Abteilungen des Gymnasiums einzuführen. Das sprengte aber die Grenzen der Planbarkeit.


Wäre es nicht einfacher als das gemischte System?

Im Moment sind 4 Abteilungen im Phasenunterricht, 2 in der zweiten und 2 in der ersten Klasse. Weil die Unterrichtsbelastung während des Semesters stark schwankt, ist es jetzt schon schwierig, die Lehrpersonen für den Phasenunterricht zusammenzubringen. Wenn er auf alle Klassen ausgedehnt würde, wäre es noch schwieriger. Da jeweils 2 Abteilungen von der gleichen Lehrperson unterrichtet werden, würde es bei 10 Abteilungen extrem kompliziert und wäre als Ganzes nicht mehr organisierbar.


Früher wurde noch mit grossen Steckplänen gearbeitet.  Wie viel hilft die digitale Unterstützung?

Als ich an die Schule kam, hat Beat Oppliger noch so gearbeitet.  Wir verwenden heute das Programm Untis. Das ist ein österreichisches Produkt, das weltweit eingesetzt wird. In der Schweiz planen fast alle Schulen mit diesem Programm, es ist inzwischen unverzichtbar geworden. Theoretisch könnte man alle Daten eingeben und auf den Knopf drücken und der Stundenplan wäre fertig. Mit unserer Schule und ihren besonderen Unterrichtsgefässen und Kopplungen ist das Programm aber überfordert. Da muss ich noch viel manuell nacharbeiten. Aber für die die ganze Kontrolle der Daten ist die Software unverzichtbar.


Der Stundenplan ist in den letzten Jahren immer früher publiziert worden.

Früher habe ich bei der «Uselüte», also Mitte Mai mit dem Stundenplan angefangen. Bis in die Sommerferien hinein habe ich den Plan gemacht. Jetzt fange ich in den Sportferien an und die Planung läuft während des ganzen Semesters. Der neue Stundenplan muss dann bereits vor den Sommerferien fertig sein.


Gibt das mehr Druck?

Ja, denn die Anmeldetermine für die ersten Klassen können nicht vorgezogen werden. Im 2. Semester der Bezirksschule gibt es immer noch Schülerinnen und Schüler, die nicht wissen, ob sie ins Gymnasium oder die FMS eintreten können.

Bei den Erstklässlern erstellen wir deshalb eine provisorische Einteilung in Abteilungen und hoffen, dass sich nicht allzu viel ändert.  Dann planen wir die Freifächer und die männlichen und weiblichen Kursgruppen im Sport. Erst in der zweitletzten Woche vor den Sommerferien wissen wir genau, wer neu in die Schule eintritt und können noch Anpassungen machen. Dann muss der Plan innert einer guten Woche fertig sein, damit wir die Kursgruppen im Schulnetz bilden können.


Wie werden Sie für diese Arbeit vom Unterricht entlastet?

Früher hatte ich in der Planungszeit Ende des Semesters eine Stellvertretung für den Sportunterricht. Den Informatikunterricht habe ich weitergeführt. Heute stehen ausser im September das ganze Jahr Arbeiten am Stundenplan an. Darum habe ich eine Jahresentlastung und damit ein generell kleineres Pensum.


Zum Schluss noch ein paar Mythen und Behauptungen rund um den Stundenplaner.
Erste Behauptung: Zum Stundenplaner sind die Lehrpersonen immer ganz besonders freundlich.

Manchmal heisst es: «Du musst ihm halt eine Flasche Wein bringen». Es gibt aber eigentlich keine wirklichen Beeinflussungsversuche.


Es gibt also keinen Wein?

Nein (lacht), aber es gibt manchmal Leute, die sich für einen guten Stundenplan bedanken. Das ist Wertschätzung für meine Arbeit.


Zweite Behauptung: Weil der Stundenplaner ein Sportlehrer ist, haben die Sportlehrpersonen den besten Stundenplan von allen

Da müsste man mal die Sportlehrpersonen fragen. Das stimmt überhaupt nicht.


Dritte Behauptung: Die Kanti Wettingen hat schlechtere Stundenpläne als andere Schulen.

Weil die Schule komplexer ist, kann das schon sein. Wir haben in vielem hohe Anforderungen an die Qualität. Zum Beispiel im Sport gibt es an anderen Schulen für die 3 Lektionen eine Doppel- und eine Einzellektion. Wir haben das zu zwei gleich langen Lektionen zusammengeführt, die viel sinnvoller genutzt werden können. Bei einer Einzellektion würden bei unseren langen Wegen effektiv nur 25 Minuten Unterrichtszeit bleiben. Wir haben noch weitere Anforderungen, die es an anderen Schulen oft nicht gibt: Fast ausschliesslich Doppellektionen, die mehr Vertiefung ermöglichen, Phasenunterricht, Teamteaching usw. Wenn auf all das verzichtet würde, könnte der Stundenplan noch mehr optimiert werden. Das wäre aber auch ein Qualitätsverlust. Ab dem neuen Schuljahr haben wir einen neuen Stundenraster mit einem früheren Unterrichtsbeginn und mehr Stundenplanpositionen. Damit gibt es auch mehr Möglichkeiten zur Optimierung.


Letzte Behauptung: Der Stundenplaner ist die graue Eminenz der Schule, sein Büro das heimliche Machtzentrum.

Das habe ich auch schon gehört, ich sehe es aber gar nicht so. Ich finde es legitim, dass der Stundenplaner manchmal gefragt wird, weil er Neuerungen ja umsetzen muss. Eine Machtposition ist das aber nicht.


Planen Sie Ihr Privatleben auch so minutiös durch?

In meiner Freizeit treibe ich viel Sport und reise gerne. Natürlich bin ich ein recht strukturierter Mensch, das muss man ja sein, um genau arbeiten können. Aber meine private Agenda ist nicht so durchgetaktet. Das ist auch ein Ausgleich.

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